Main Post, Würzburg: Neu anfangen im Alter
Neu anfangen im Alter
Artikel: Main Post – 4 Wände, Donnerstag, 22.05.2014 von Sabine Dähn-Siegel; Fotos: Bernhard Rauh
Ruhige Ortsrandlage? Das war einmal. Ehepaar F. entschied sich für kurze Wege zur Ortsmitte und einen modernen Neubau fernab vom Verkehrstrubel. Altersvorsorge auf hohem Niveau.
Junge Familien haben andere Präferenzen, stellen andere Ansprüche ans Wohnen und die Wunschumgebung als die Eltern- und Großelterngeneration. Die hat häufig die Devise „Man baut nur einmal“ verinnerlicht und bleibt, wenn möglich bis ins hohe Alter, in einem für die veränderte Familiensituation nicht mehr so recht passenden Haus. Ihre Begründung: Gewohnheit, dass man die Nachbarschaft kenne, nicht unbedingt in einem neuen Siedlungsgebiet wohnen möchte – und abgesehen davon, dass interessante Objekte schon seit längerem Mangelware sind, scheue man auch das finanzielle Risiko. Denn Bauen werde ja eh immer teurer als geplant. Gegen manche Argumente kommt man nicht an, andere lassen sich prima entkräften. Bestes Beispiel: das Architektenhaus des Ehepaars F.
Dem elterlichen Nest entwachsene Kinder, vier Wände, die nur mit einigem Aufwand hätten zukunftsfit, sprich seniorengerechter gestaltet werden können, ein pflegeintensiver Garten, der Wunsch, nur einen Katzensprung von der Ortsmitte entfernt zu leben, dank familiärer Beziehungen zudem die Chance auf Erwerb eines ruhig gelegenen (bebauten) Grundstücks – all das gab bei den berufstätigen (jetzt) Endfünfzigern den Ausschlag für einen Neubau. Das Areal: knapp 700 Quadratmeter in Trapezform, ähnlich einem Handtuch mit schief abgeschnittener Ober- und Unterkante. Also relativ schmal, westwärts ansteigend, so dass sich auf die gesamte Länge ein Höhenunterschied von 3,50 Metern ergibt. Darauf ein aus den 1930er Jahren stammendes Siedlungshäuschen mit Garage. „Wir haben natürlich geprüft, ob und wie es sich erhalten ließe. Aber weder Bausubstanz noch die Lage auf dem Grundstück, die Anbauten an den Bestand quasi unmöglich machte, entsprachen heutigen Ansprüchen“, berichtet der Zeller (Lkr. Würzburg) Architekt Marcus Nebauer. Somit fiel die Entscheidung für den Abriss und einen vollständigen Neubau – unter einer entscheidenden Prämisse der Auftraggeber: Geplant wird so, dass es keiner baurechtlichen Ausnahmegenehmigungen der Gemeinde bedarf und alle Abstandsflächen akribisch eingehalten werden.
Die weiteren Vorgaben an den Fachmann, der auch aufgrund der nachbarlichen Mixtur an Baustilen – für das Gebiet besteht kein Bebauungsplan – innerhalb des vorgegebenen Etats relativ viel Freiheit bei der Wahl seiner gestalterischen Mittel hatte: hell, großzügig-übersichtlich, leben auf einer Ebene muss möglich sein. Die Lösung: ein moderner, zweigeschossiger Flachdachbau. Rechteckiger Grundriss, in der Mitte der südlichen Längsseite rückversetzte Fassade, eingeschossiger „Anbau“ an der Nordseite. Eingang an der Ostseite, wo der tiefe Carport – in ihm und der Zufahrt finden bis zu vier Pkw Platz – Wohnhaus und Garage samt einem den Keller ersetzenden Nebengebäude (beides Grenzbebauung) verbindet. Könnte ein ewig langer Klotz sein, ist es aber keineswegs. Das in der Höhe gestaffelte Ensemble und die in der Südansicht (von der Erschließungsstraße her) nicht auf einer Geraden liegenden Fassaden, zudem die asymmetrische Anordnung der Glasflächen in Erd- und Obergeschoss lassen diesen Eindruck erst gar nicht entstehen. Der Eingang liegt, geschützt vor Regen, unter dem Dach des Carports; opake Glastür und -seitenteil hemmen den Einblick, lassen aber viel Tageslicht in den geräumig-komfortablen Flur. Was der Laie nicht wahrnimmt: Professionell auf die Scheiben aufgetragene Folie erzeugt einen Edeldesign-Effekt. Der wiederholt sich am Fenster des Gäste-WCs. Der Clou darin ist die Raumabtrennung der bodengleichen Dusche: bei Bedarf optimaler Spritzschutz, zusammengeklappt macht sie sich ganz schmal an der Wand – und lässt mehr Bewegungsfreiheit im Raum.
Gegenüber befindet sich ein Gästezimmer mit Fenstern zur Straße. „Raumanordnung und die breiteren Türen im Erdgeschoss gehören zu unseren alters-prophylaktischen Maßnahmen, sagen die Bauherren. Sollte Treppensteigen eines Tages zu beschwerlich werden, könnten sie ganz unkompliziert aus dem Gäste- ein Schlafzimmer machen. Für Ordnung im Flur sorgen ein Einbauschrank und, gleich neben dem WC, ein kleiner Abstellraum, über den man in den „Anbau“ gelangt. Der fungiert als Kellerersatz – unter anderem sind hier Heizung, Waschmaschine und Trockner untergebracht – und hat direkte Zugänge zu Stellplatz beziehungsweise Garten.
Sichtachsen zu schaffen ist dem Architekten Nebauer ein wichtiges Anliegen, das er in diesem Objekt eindrucksvoll realisiert hat. Von der Eingangstür schaut man – dank gläserner Flurabtrennung zum Wohnbereich – bis in den Garten. Küchenfenster und Glasfront am Essplatz liegen sich genau gegenüber und gewähren Durchblick von der Terrasse an der Süd- bis zum Grundstückszaun an der Nordseite. Eine gute Lösung hat Marcus Nebauer für das familiäre Zentrum gefunden: Wohnen, Essen, Kochen und Treppenhaus ergeben einen klar gegliederten Großraum.
Ausgefallen und sehr effektvoll ist die Erschließung des Obergeschosses: weil sich die leicht wirkende, mit Eichenstufen versehene Stahlwangentreppe an der Südseite des Hauses befindet; weil die Treppe entgegen der derzeitigen Mode nicht ein-, sondern zweiläufig ist – was nicht nur Senioren bequemeres Laufen ermöglicht; weil dies der einzige, über zwei Etagen verglaste Bereich des Hauses ist. Schon wegen des Blicks auf das gegenüber der Straße beginnende Naturschutzgebiet lohnt sich mehrmaliges Treppenlaufen. Jalousien und Dreifachverglasung sorgen dafür, dass der Wärmeeintrag durch Sonnenstrahlen angenehm bleibt. Eine Wand trennt Treppe und Essplatz, der quasi das Mittelstück bildet von Küche und „Sommerwohnraum“, der Terrasse, die geschützt zwischen Gartenmauer und Nachbarbebauung liegt. Überlegungen, den Ess- vom Wohnbereich abzugrenzen, wurden verworfen. Wunsch der Hausherrin war, dass sich zumindest die erwachsenen Kinder und ihre Familien unbeengt am ausgezogenen Tisch versammeln können.
Um die 35 Quadratmeter, fast ein Drittel der Grundfläche, sind dem Wohnbereich vorbehalten. Das über Eck verglaste Fenster (Süd-West-Seite) öffnet ihn zum Garten, während der fensterlose hintere Bereich eine Rückzugsmöglichkeit offeriert – und wie geschaffen ist für einen Kamin- oder Kachelofen. Baulich, einrichtungsmäßig und farblich setzt sich die Küche von ihrer Umgebung ab. Zum Essbereich hin wurden Unterschränke so versetzt, dass sie die dahinter liegende (küchenseitige) Arbeitsfläche überragen, die sich U-förmig bis unter das breite Nordfenster zieht. Zu der grifflosen, weißen Hochglanz-Küchenfront, der polierten, dunklen Granitarbeitsplatte und den dunklen Steinzeugfliesen, wie sie auch in Diele, Gäste-WC, Speise und Hauswirtschaftsraum verwendet wurden, kombinierten die Bauherren apfelgrüne Wandfarbe. Eichendielen machen den Boden im Wohn-Ess-Bereich und im Gästezimmer optisch warm.
Zum privaten Bereich in der oberen Etage zählen – entsprechend der Intension des Architekten, reine Verkehrsfläche so gering als möglich zu halten – ein Miniflur, ein großes Bad, zwei große Zimmer, über die man jeweils einen weiteren, etwas kleineren Raum erreicht. Ans Schlafzimmer angeschlossen ist das Schrankzimmer, an das Arbeitszimmer ein häusliches Archiv. Sollte die derzeitige Einteilung nicht mehr gefallen oder späteren Bewohnern nicht zupass kommen, „können wir den Flur so verlängern, dass er alle Räume erschließt“. Der direkte Zugang zum Balkon an der Süd-West-Seite dürfte aber selbst dann nur vom jetzigen Arbeitszimmer aus möglich sein. Oder mittels baulicher Veränderungen. Aber die sind für Ehepaar F. trotz unkomplizierter Bauphase – Termine und Kostenrahmen wurden eingehalten – so schnell bestimmt kein Thema.