Main Post, Würzburg: Kanzel mit Aussicht
Fernblick oder größeres Grundstück?
Die Entscheidung fiel leicht: Dieses Panorama auf Würzburg, Wald und Weinberge gibt’s nicht so oft.
Man möchte es kaum glauben. „Ursprünglich schwebte uns ja eher so ein Öko-Holzhaus vor“, sagt die Hausherrin beim Rundgang durch das Heim der fünfköpfigen Familie. Es ist ein modernes Objekt in sachlich-klarer Formensprache, zweigeschossig, die Etagen gegeneinander verschoben. Flachdach.
Kontrastreiche grau-weiße Putzfassade. Puristisch. Nicht einmal Versatzstücke eines konventionellen Öko-Gebäudes. Also ein Hörfehler? Keineswegs. Grundstückskauf und Konzept des Architekten trugen zur Umorientierung bei. Mit der Folge, dass der realisierte, vollunterkellerte Flachdachbau mitnichten ein origineller Kompromiss ist, „sondern genau so, wie wir ihn schließlich haben wollten“. Individuell abgestimmt auf das Familienleben.
An der Talseite von Wand zu Wand verglast, haben die Bewohner hier ihre ganz private Aussichtskanzel. Täglich, windund wettergeschützt. Sie gibt dem Haus das besondere Etwas und prägt die Straßenfront. Aber nicht nur hier geht der Blick ungehindert nach draußen und in die Ferne: (Großformatige) Fenster nehmen drei Viertel der Riegel-Westseite ein. Architekt Marcus Nebauer hat das Haus so in das terrassierte Hanggrundstück eingestellt, dass das Erdgeschoss gut einen halben Meter über Straßenniveau liegt. Neben dem Carport, abgetrennt durch eine halbhohe Mauer, führen einige Stufen von der Straße zum Eingang an der Nordseite des Hauses. Ein schmales Glasband flankiert die dunkle Tür, so dass direktes Tageslicht in die dahinterliegende Diele fallen kann. Zwar konventionell, aber bewährt – vor allem für eine mehrköpfige Familie mit Kindern im Schulalter – haben sich die kurzen Wege zum Gäste-WC und zur „Familiengarderobe“. Schuhe, Mäntel, Jacken verschwinden in der Kammer, verschmutzte Kleidung wird direkt in den Hauswirtschaftsraum im Keller geschickt. Der Wäscheabwurfschacht macht‘s möglich und trägt zum aufgeräumten Eingangsbereich bei. Von diesem geht es türlos ins zweigeteilte Familienzentrum: rechterhand das fast quadratische Wohnzimmer, linkerhand, nach einem schmalen Flur, Koch- und Essbereich. Allen gemeinsam – freilich aus unterschiedlichen Perspektiven – ist der Blick in den Garten, auf die von Haus und großen Natursteinquadern dreiseitig gerahmte, Passantenblicken entzogene Terrasse. Die großen Fenster und der (niveaugleiche) Holzboden innen wie außen „weiten“ die gesamte Etage. Aufgezogene Schiebetüren und ein über dem Freisitz gespanntes Sonnensegel verstärken diesen reizvollen Eindruck.
An der Verbindungsfläche zwischen Wohnen und Essen befindet sich die „offene“ Küche. Eine, über die die Bauherrin „total glücklich“ ist. Weil sie quasi im Zentrum des Erdgeschosses liegt und nicht separiert vom Familiengeschehen. Weil von ihr aus der Blick ins Freie geht. Weil sie reichlich Stauraum hat (den eine Abstellkammer am Ende des schmalen Flurs ergänzt). Und nicht zuletzt, weil die Kochinsel nicht nur den unverzichtbaren Herd, sondern Sonderausstattung aufweist: Wasserhahn und Minibecken (zusätzlich zur normalen Spüle in der Küchenzeile an der Wand) für aufbereitetes Trinkwasser, auf Wunsch mit entsprechend Kohlensäure versetzt, und für ungefiltertes, normales Leitungswasser. Das Extra ist in bundesdeutschen Haushalten nicht allzu weit verbreitet, aber bei der Küchenplanung im Neubau fallen die Kosten dafür so wenig ins Gewicht wie für den unauffällig in die Decke integrierten Dunstabzug.
Architekt Marcus Nebauer hat das Haus so in das terrassierte Hanggrundstück eingestellt, dass das Erdgeschoss gut einen halben Meter über Straßenniveau liegt.
Stichwort Decke: Während sie im Küchenbereich abgehängt ist und Beleuchtung „versteckt“, strahlt der sichtbare Beton im übrigen Erdgeschoss sachlich-nüchternes Flair aus, das „warmer“ Holzboden und freundlich weiße Fensterrahmen innen (außen grau) und Wände reduzieren. Zudem steht im Wohnzimmer an der fensterlosen Außenwand noch eine dezente und sehr effiziente Wärmequelle: ein Specksteinofen. „Wegen seines hohen Gewichts musste er auf ein besonders stabiles Fundament gestellt werden“, berichtet die Hausherrin. Die stimmungsvolle Feuerstätte zeichnet sich durch hohes Wärmespeichervermögen und Abgabe von Strahlungswärme aus (heißt: der Ofen erwärmt nicht die Luft, sondern die Flächen, auf die die Wärmestrahlen auftreffen; das hat kaum Auswirkungen auf die Luftbewegung, die Luftfeuchtigkeit bleibt unverändert).
In vielen Neubauten sind Treppen heute zentral positioniert, hier sind sie dem Blick des Besuchers entzogen: Wer ins Kellergeschoss will, steigt die der Speisekammer gegenüberliegenden Stufen hinab. Hier unten befinden sich neben Werkstatt und Lager ein Hauswirtschafts- und Technikraum, ein tageslichthelles Gästezimmer (dank höher gelegenem Fensterband) und ein auch von der Familie selbst gern genutzes Duschbad, das ob des Strukturglasfensters zum Technikraum ebenfalls etwas natürliches Licht abbekommt. Der Zugang zum Obergeschoss wird durch die Küchenwand kaschiert. Horizontal verlaufende, niedrige Maueröffnungen – laut Hausherrin hätten sie durchaus größer ausfallen können –, Fenster auf beiden Etagen direkt neben den Treppenpodesten und die transparente Brüstung (Glas, kombiniert mit metallenem Handlauf) sorgen für Helligkeit. Bei Bedarf fällt Licht von den in der Wand integrierten Leuchten auf die einläufige Treppe (Beton, kombiniert mit Holzbelag auf den Stufen).An der Südseite des langen Korridors sorgt eine Alutreppe mit Gitterroststufen für die kurze Verbindung von den privaten Räumen in den Garten. Jetzt sind die drei in einer Reihe nebeneinander liegenden Kinderzimmer praktisch gleich groß. Aber die Bauherren haben sich für die ferne Zukunft gewappnet: Ständerwände erlauben, unkompliziert Veränderungen vorzunehmen. Raumhohe Fensterfronten öffnen das Reich des Nachwuchses gen Westen, geben die Sicht frei in den Garten – und einem Kind direkten Zugang zur Dachterrasse. Den haben auch die Eltern von ihrem Schlafzimmer aus. Es liegt, ebenso wie das Bad, im auskragenden Part des Obergeschosses.
Keine Frage, dass die verglaste Nordseite an sich schon den besonderen Touch hat. Der große Clou ist aber die frei stehende Wanne vor der Fensterfront im schicken Bad. Weiße Wandfliesen kontrastieren zu großformatigen dunklen Bodenfliesen, der hölzerne Waschtischaufsatz zum weißen Doppelwaschtisch. Eine T-förmige Wand, die WC und Dusche trennt, erlaubt die raffinierte Anordnung der Sanitärobjekte. Keiner der Räume dient luxuriöser Werbung, sondern einzig dem Leben der Familie. Und die weiß ihre Privatsphäre zu schützen – mittels elektronischer Raffstores und weiterer Steuerung von Haushaltsgeräten und Einrichtungen per Bussystem. „Wir können die Lamellen so ausrichten, dass wir weiterhin raus-, aber niemand reinschauen kann.“ Bemerkenswert, dass dieses Objekt nicht nur die besondere Aussicht „einfängt“, sondern dass jeder einzelne Raum eine starke Beziehung zur Außenwelt besitzt.